Gründungsfrau Ina Stein

Eigentlich hatte ich mir meine berufliche Zukunft ganz anders vorgestellt.

Mein großes Interesse galt Sprachen wie z.B. Englisch und Französisch und in dem Zusammenhang fremde Länder kennen zu lernen.

Gerne hätte ich mich nach dem Abitur als Fremdsprachenkorrespondentin ausbilden lassen mit dem Traum, in einer weltweit operierenden Firma arbeiten zu können, usw.usw.usw.

Natürlich kam es ganz anders, denn meine Eltern wollten für mich als behinderte Frau und eine, die wahrscheinlich auch nicht heiraten wird, etwas „Sicheres“, und so musste ich Beamtin werden.

In meiner Generation war es noch üblich, dass man sich nach den Wünschen der Eltern richtete.

Kurz nach der Prüfung zur Regierungsinspektorin kam unser Sohn und da ich mich selbst um ihn kümmern wollte, musste ich mich aus dem Beamtenverhältnis entlassen lassen, was mir – ehrlich gesagt – nicht sehr schwer fiel.

Allerdings wurde mir nach einiger Zeit auch klar, dass „Nur-Hausfrau“ auch nichts für mich ist. 1973 wurde ich vom Sozialverband Deutschland (SoVD) gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, in München eine Gruppe für Jugendliche mit und ohne Behinderung zu gründen, damals eine noch ungewöhnliche Idee – es war die Zeit der Behindertenbewegung (Integration statt Isolation), aber auch der Frauenbewegung.

Bereits 1975, im Jahr der Frau, erstellte der SoVD zehn Thesen zur Verbesserung der Lebensbedingungen für Frauen mit Behinderungen, die ich im Rahmen einer großen Veranstaltungen vortragen durfte – die aber niemanden interessierten.

1981 war das Internationale Jahr der Behinderten. Im Vorfeld wurde ich von meinem Verband gefragt, ob ich für unser Magazin einen Bericht über die „besonderen Probleme von behinderten Frauen“ schreiben könnte. Stolz sagte ich natürlich zu – und dann saß ich vor einem weißen Blatt und wusste eigentlich nicht, was ich schreiben sollte. Mir wurde bewusst, dass ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht hatte, es verdrängt hatte.

Der Bericht kam natürlich trotzdem zustande und ich wollte nun wissen, wie geht es den anderen Frauen mit Behinderung? Ich führte viele Gespräche mit Frauen, die die gleichen Erfahrungen gemacht hatten, aber auch Frauen, die es strikt ablehnten, darüber zu reden.

1989 bekam ich die Chance, im Rahmen des Behindertenprogramms der Volkshochschule einen Gesprächskreis ins Leben zu rufen, der das erste Angebot nur für behinderte Frauen in München war.

Wir waren eine tolle Gruppe, wir Frauen fanden es sehr befreiend, einmal ohne Scheu sich über unsere Erfahrungen, Probleme und Bedürfnisse auszutauschen – auch für mich eine völlig neue Situation.

Uns war natürlich bald klar, wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir uns sichtbar machen, also an die Öffentlichkeit gehen.

Die ABM drehte einen Film über uns, wir fanden eine sehr einfühlsame Photographin, die eindrucksvolle Fotos machte. Mit dieser Ausstellung hatten wir ziemlichen Erfolg, sie wurde z.B.im Bundestag (damals noch Bonn), im Europaparlament in Brüssel, in verschiedensten Organisationen deutschlandweit und bei der großen Frauenausstellung in Ingolstadt 1998  gezeigt, wo wir Frau Karin Stoiber, die Gattin des damaligen Ministerpräsidenten, als Schirmherrin gewinnen konnten.

Hier hatten wir die Gelegenheit, ihr klar zu machen, dass sich nur dann für uns etwas ändert, wenn sich die Politik (hier das Sozialministerium) für uns einsetzt und wir die Möglichkeit bekommen, unsere Interessen selbst zu vertreten.

Bald darauf gab es einen Arbeitskreis im Sozialministerium (unter der Leitung eines Mannes),

in dem wir unsere Vorstellungen und Vorschläge einbringen konnten – schon mal ein großer Fortschritt.

Schon damals gab es die Idee und den Wunsch, die in München erfolgreiche Arbeit bayernweit auszudehnen, was aber nicht mehr nur ehrenamtlich zu leisten gewesen wäre, sondern mit einer Geschäftsstelle mit hauptamtlichen Mitarbeitern, natürlich von Frauen mit Behinderung für Frauen mit Behinderung.

Der Prozess dauerte einige Jahre und erst als ich Behindertenbeauftragte der Bayer. Staatsregierung wurde, schafften wir den Durchbruch, insbesondere auch deswegen, weil sich der Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft für Behinderte, Reinhard Kirchner, bereit erklärt hatte, als Träger zu fungieren und Büroräume  zur Verfügung zu stellen.

Ohne die Durchsetzungskraft von z.B. Rosi Probst oder Uschi Ohlig hätten wir das nie geschafft.

Nun besteht das Netzwerk bereits 15 Jahre – erfolgreich, mit einem tüchtigen, durchsetzungsfähigen Team, das sich in Politik und Gesellschaft viel Ansehen geschaffen hat und das seine  Forderungen mit Charme, aber auch Hartnäckigkeit verfolgt. Die Arbeit des Netzwerks ist auch in Zukunft unverzichtbar.

„Schon viel erreicht. Noch viel mehr vor“, dieser Spruch der Aktion Mensch passt auch für das Netzwerk für Frauen mit Behinderungen.

Ich bin sehr stolz auf Euch.