Corona-Tagebuch 25.9.2020: Karin

25. September 2020 / Autor: Karin Winklhofer

Normalerweise gibt es hier freitags immer unseren Wochenrückblick. In dieser Woche fanden jedoch keine Arbeitskreise und andere Sitzungen statt und es gibt nicht so viel Spannendes zu berichten. Daher gibt es – nun nicht mehr ganz so oft -, für die „Corona-Zeit“, stattdessen jetzt die Rubrik „Corona-Tagebuch“. Hier möchten wir Einblick in unseren neuen Alltag gewähren und natürlich auch Tipps und Neuigkeiten mit unseren Leser*innen teilen.

 

Nach vielen schönen Beiträgen in dieser Rubrik von Sprecherinnen und Kolleginnen habe ich (Karin Winklhofer, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei den Netzwerkfrauen-Bayern) endlich die Zeit gefunden auch ein paar (oder auch ein paar mehr 😉 ) Zeilen zu verfassen. Ich hoffe Ihr habt Spaß beim Lesen!

 

Corona-Sommer

 

Lange ist er her, der Winter in dem noch alles „normal“ war. Meine Kinder bekamen im Februar ganz normal ihr Zwischenzeugnis und Mitte/Ende des Monats fuhren wir für ein paar Tage nach Colmar ins Elsass.
Über Coronafälle in Nord-Italien wurde damals schon berichtet, aber wir fuhren ja in die andere Richtung. Daher hatten wir keine Bedenken und genossen die Tage dort, saßen in Cafès und sahen uns die Stadt an.
Kurz vor unserer Rückkehr hörten wir aus einer Laune heraus – und weil der Sender gute Musik spielt – Ö3-Radio übers Handy. So erfuhren wir, dass im Elsass die Zahl der Corona-Fälle massiv anstieg.

Nachdem wir zurück in München waren – es war nun fast März – verkaufte ich die Tickets für „Wanda“ zum Schleuderpreis (das war bitter, wir hatten uns schon monatelang auf das Konzert gefreut). Es war mir zu unsicher mit X-Tausend Leuten im Olympiastadion zu sein, wenn andernorts bereits Veranstaltungen über 1000 Personen verboten wurden. Ich wollte nicht riskieren, dass mein Lebensgefährte (Risikogruppe) oder meine Eltern (über 85 Jahre jung) durch uns angesteckt werden.
Da gab es einige, die unsere Übervorsicht nicht verstehen konnten und belächelten.

Und dann ging es ganz schnell.
Erst mussten die Schüler zu Hause bleiben, die in den Faschingsferien in Italien waren,
dann die Elsass-Urlauber,
dann alle Schüler
und schließlich alle Erwachsenen auch.
Ausnahmezustand. Klopapiernotstand. Zu allen: viel Abstand.

 

Es folgten „interessante“ Wochen und Monate. Ein Teil der Bevölkerung schien sich allein zu Hause massiv zu langweilen. Haufenweise gab es Tipps und Anleitungen, womit man die Zeit füllen kann. Viele dieser Anregungen waren sehr kreativ und wirklich schön und durchdacht. Einige meiner Freundinnen beglückten mich anfangs mit einer Menge von solchen weitergeleiteten Vorschlägen.
„Das mache ich jetzt auch, macht wirklich Spaß, solltest Du unbedingt auch versuchen!“ So oder ähnlich lauteten die Kommentare dazu. Es dauerte einige Zeit, bis bei allen durchgesickert war, dass ich keine Zeit für Langeweile oder Zusatz-Bespaßung (egal wie schön und kreativ) hatte – ebenso wenig wie die meisten anderen Eltern!

Die Wochen des Lockdowns bedeuteten für mich einen quasi dauerhaften rund-um-die-Uhr-Dienst, Pausen ausgeschlossen. Homeschooling & Betreuung, Homeoffice, Einkaufen unter stark erschwerten Bedingungen, Alltagsmasken nähen, meine Eltern versorgen und eine Art Alltagsstruktur aufrechterhalten, während alle bekannten Strukturen wegzubrechen scheinen –und das neben den Ängsten und Sorgen, die jeden in dieser Ausnahmesituation beschäftigen – eine extreme Belastung. Wenn der „normale“ Alltag mit einer chronischen Erkrankung schon eine Herausforderung ist, dann war diese Zeit für mich schier unbeschreiblich. (Das ist nicht im Sinne von „unbeschreiblich schön“ zu verstehen!)

Aber es geht immer. Irgendwie. Einfach weitermachen, lautet die Devise.
Und manchmal kann man viel Spaß daran haben, welche Blüten solch seltsame Bedingungen sprießen lassen!
Mein Sohn hat es sich im Homeschooling zur Gewohnheit gemacht etwas später mit der Arbeit anzufangen und vorher stets ein Lego-Projekt durchzuziehen: Flugzeugträger, Schiffe, Autos, Panzer, Flugzeuge. Danach war die Konzentration für Mathe und Deutsch gut vorhanden. Er hat außerdem ein ganzes Buch über klassisches Origami durchgearbeitet und alle Figuren darin gelernt. Unser Haus war danach voll von Papierkunst – einfach schön!
Meine (fast erwachsene) Tochter hat sich ihren Freiraum im Haus über die Uhrzeit geholt. Wir nutzten das Wohnzimmer bis circa Mitternacht, sie danach. Ihr Frühstück war unsere Tee-/Nachmittagsmahlzeit.

Und beide begannen ihre Zimmer auszuräumen! Was zunächst nach einer guten Idee klingt, entwickelte sich zu einem kleinen Albtraum für mich: Schätze und Funde der letzten 10 Jahre kamen zutage und wurden prompt über die Eltern entsorgt! Nun saß ich auf dem Stapel, aus dem man Müll und Werte sortieren musste.
Und es geht noch schlimmer: auch meine Eltern begannen zu entrümpeln und versuchten ihren Kram bei mir abzuladen!!! (Nur sind die beiden weit über 80 Jahre und hatten noch deutlich mehr Zeit zum Sammeln!) Eingekeilt zwischen der Ausräumerei von zwei Generationen half mir nur eine klare Verweigerung: Die Wertstoffhöfe haben zu und ich habe keinen Platz und vor allem keine Nerven dafür!
Ein gewisser Höhepunkt wurde erreicht, als meine Mutter kurz vor den Sommerferien bei uns war und heimlich, still und leise eine Tüte abstellte, die ich tatsächlich erst bemerkte, als sie wieder weg war. Die Tüte war von Hertie! (Wer erinnert sich noch?!?) Und darin: meine Taucherbrille aus Gummi und Glas mit Schnorchel, mit der ich vor über 40 Jahren im Bodensee geschwommen bin. WOW! 😀
Ich habe sie trotz der guten Erinnerungen an die gemeinsamen Zeiten entsorgt. Aber es gibt Fotos von uns – sowohl von damals, als auch aktuelle Abschiedsfotos 😉

 

Da sowohl mein Mann, als auch mein Exmann zur Risikogruppe gehören, galt für meine Kinder die Schule zu Hause bis zu den Sommerferien. -> Keine Pause für mich, aber man wurstelt sich durch und entwickelt eine neue Form von Alltag. An manchen Stellen bedeutet das Abstriche zu machen. Mitunter macht mich das unzufrieden. Und manchmal entdeckt man: ach, so geht’s eigentlich auch ganz gut.

Und manchmal passiert es dann doch: das schlechte Gewissen, wenn man zu sehr auf das schaut, was die anderen (vermeintlich besser) machen. Während bei uns die Zeit nie zu reichen scheint, basteln die anderen und machen Online-Yoga undwasnichtalles…

 

Und endlich wurde es Sommer. Auch der ist anders, Corona-Sommer eben.

Wir hatten lange vor Corona privat gebucht und haben die Fahrt im August dann doch gewagt.
Urlaub unter besonderen Bedingungen: mit Masken beim Einkaufen, viel Abstand, keine Restaurantbesuche, keine Sehenswürdigkeiten. Stattdessen viel Schwimmen, Spazieren gehen, Landschaft, Sonnenschein und Kaffee im Garten des Ferienhäuschens genießen.
Es war unglaublich erholsam!

 

Zurück in Deutschland betrachte und erlebe ich nun das „neue Normal“ nach dem Corona-Sommer.

Die Leichtigkeit, die der Sonnenschein mit sich zu bringen schien, scheint uns nun auf die Füße zu fallen. Die Zahlen steigen und es sind nicht länger die Heimkehrer aus den Risikogebieten, die dafür „verantwortlich“ sind. Maskenpflicht in der Schule den ganzen Tag, länger als die zu Anfang erhofften zwei Wochen.
Die Welt im Zwiespalt zwischen der Leichtigkeit des Sommers, den man bis vor ein paar Tagen noch in der Sonne spürte, und der Realität des Corona-Herbstes.

Alles soll wieder möglichst normal funktionieren – und kann doch nicht.
Für meine Familie bedeutet das hin- und hergerissen zu sein zwischen den zweifelsohne wichtigen Lebensinhalten (Präsenzunterricht im Abi-Jahr zum Beispiel) und dem Bedürfnis die Risikogruppe zu schützen.
Für mich ist es eine logistische Herausforderung dafür zu sorgen, dass beide Kinder zumindest nicht zu den Stoßzeiten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Neben dem Pausenbrot ist der Mund-Nasenschutz der wichtigste Gegenstand, der in den Schulranzen gepackt werden muss. Und wenn die beiden nachmittags wieder zur Tür herein kommen steht da schon der „Mama-Drache“ und brüllt: „HÄNDEWASCHEN!“ (Feuerspeien übe ich noch 😉 )
Oma und Opa sieht man noch seltener, insbesondere wenn einer von uns Halskratzen oder irgendetwas Unbestimmbares hat. (Ganz normale Kinderinfekte werden zur unterschwelligen Bedrohung…)

Man hört überhaupt weniger vom Schutz der Risikogruppe als vor dem Sommer, habe ich das Gefühl. Mehr dafür von „sinnvollen Lockerungen“, die bei genauerer Betrachtung nur dann funktionieren, wenn die Risikogruppe sich (freiwillig) isoliert. Und allgegenwärtig ist die Forderung, dass das Leben feiernd und konsumierend weitergehen muss.

 

Der Herbst kommt spürbar und der Winter verheißt unter Corona-Bedingungen nichts Gutes.

Ein halbes Corona-Jahr haben wir geschafft. Mal sehen, wie wir, wie unsere Umgebung und die Gesellschaft sich in den nächsten Monaten halten und verhalten werden.

 

Bis nächste Woche – Bleibt gesund und munter!

 

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Tolle Gegendarstellung, Karin. Das relativisrt vieles

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