Corona-Tagebuch 12.6.2020: Susie (Teil 6)

12. Juni 2020 / Autor: Karin Winklhofer

Normalerweise gibt es hier freitags immer unseren Wochenrückblick. Im Moment finden aber ja kaum Arbeitskreise und andere Sitzungen statt und es gibt nicht so viel Spannendes zu berichten. Daher gibt es, für die „Corona-Zeit“, stattdessen jetzt die Rubrik „Corona-Tagebuch“. Hier möchten wir Einblick in unseren neuen Alltag gewähren und natürlich auch Tipps und Neuigkeiten mit unseren Leser*innen teilen. Am Ende dieser Blogbeiträge informieren wir natürlich auch ganz knapp, was sich im Netzwerkbüro sonst so berichtenswertes getan hat.

 

Heute ist es wieder unsere Sprecherin Susie Kempa, die ihren von Corona beeinflussten Alltag schildert.
Hier findet Ihr Teil 1, Teil 2 , Teil 3 , Teil 4 und Teil 5 ihres Corona-Tagebuchs.

 

Susies Corona-Tagebuch (Teil 6)

 

Freitag 22. Mai – !!! Anzeichen !!!

Als Info: Ich muss Rund-um-die-Uhr beatmet werden. Ca. 7-15x am Tag wird der Schleim abgesaugt. Auch wenn es manchmal nur fünfmal ist mache ich mir nicht gleich Sorgen, denn am nächsten Tag ist es dann mehr. Ich inhaliere ca. 8x am Tag.

Wie ihr vielleicht in Teil 5 gelesen habt, hatte ich am Freitag meine 1. angstvolle Quarantäne beendet, da ich ein Corona-NEGATIV Ergebnis hatte.

Damit war meiner Angst aber nur kurz ein Ende gesetzt, da ich tagsüber nur 2x absaugt wurde, → dabei kam nichts raus, nichts. Das hatte ich eigentlich nur machen lassen, um zu sehen, ob dann alles „gelb“ ist. Aber nichts, nichts.
Am Abend einmal, zur Kontrolle, und wieder nichts. Das ist noch nie nie passiert.
Ich bekam merklich schwerer Luft – man musste mich an den Sauerstoff hängen, Corona-Anzeichen?

Ich suche im Internet:

Körperliche Anzeichen für Coronavirus-Erkrankung:
https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=anzeichen+f%C3%BCr+corona

Darunter steht: Im Durchschnitt vergehen ab der Infektion mit dem Virus 5–6 Tage, bis bei einer Person Symptome auftreten. Es kann jedoch auch bis zu 14 Tage dauern. → 14 Tage sind es noch nicht!
Häufigste Symptome:
– Fieber
– Trockener Husten
– Müdigkeit
Schwere Symptome:
– Atembeschwerden oder Kurzatmigkeit
– Schmerzen oder Druckgefühl im Brustbereich
– Verlust der Sprach- oder Bewegungsfähigkeit → Das Wort „Bewegungsfähigkeit“ verleiht mir 🙂 (ein breites Lächeln)  😉
→ Wenn Sie schwere Symptome haben, wenden Sie sich umgehend an einen Arzt. Rufen Sie in jedem Fall in der Praxis bzw. medizinischen Einrichtung an, bevor Sie sie aufsuchen.

Bleibt gesund!
Susie

 

Samstag 23. Mai – !!! Corona ???

Ich habe total schlecht geschlafen und geatmet. Vom Sauerstoff komme ich nicht herunter und trotzdem bekomme so schwer Luft. 🙁

Ich konnte wieder nichts an Schleim/Sekret absaugen, obwohl ich doppelt so viel inhaliert habe. Die ganze Lunge ist total trocken, ich habe das Gefühl es ist alles verklebt. 😥

Sehr spät nachts: Ich habe immer mehr Angst, und zwar mehr als vorher, viel mehr.
Mein Puls ist über 120. Die Körpertemperatur ist angestiegen, um über 2 °C mehr als sonst, Fieber!

Jeder andere würde jetzt den Bereitschaftsdienst anrufen und dann passiert, was passieren soll. Ich kann das, wie viele andere Schwerstkörperbehinderte, nicht machen, nicht wirklich.

Info, Kurz angeschnitten: Jetzt wird eine Schwerstkörperbehinderung zusätzlich zum „Verhängnis“. Einfach einen Bereitschaftsdienst rufen ist schwierig, da sie nicht mit einer Behinderung (inklusive Atemgerät-Situation) umgehen können. Es läuft meistens auf einen Rettungsdienst hinaus, der die Verantwortung wiederum, aufgrund von – ich würde es schon fast „Hilflosigkeit“ nennen, nicht trägt, und einen ins nächstmöglichste Krankenhaus bringt.
Wenn man nicht gerade „2 Minuten vor dem Tod steht“ haben sie schon oft 2 Krankenhäuser angefahren mit dem Ziel, nach Ablehnungen in ein 3. Krankenhaus gebracht zu werden, das einen dann auf der Intensivstation aufnehmen muss; oft für nichts.
In dieser Coronavirus-Situation werden wir Behinderte/Schwerstkörperbehinderte in keinem Krankenhaus aufgenommen, außer es ist äußerst lebensbedrohlich.
Über diese Misere der fehlenden medizinischen Versorgungsebenen, auch schwieriger werdend durch die derzeitige Situation, könnte man eine ganze Facharbeit schreiben.

=> Bereitschaftsdienst etc. folglich „sinnfrei“.
In solchen Fällen weiß ich nie was ich so wirklich machen kann, außer morgen um 8:00 Uhr meinen Arzt anrufen lassen.
Mein Wunschdenken: Er geht ans Telefon. Er ist sowieso unterwegs. Er fährt einen Umweg zu mir. Ich bekomme dann ein Rezept, mit dem ich umständlich (mit Besorgungs-Taxi) ein Antibiotikum bekomme. (Und so einen Test hat er, wie jeder Arzt, sowieso mit dabei.)
→ 4 Wünsche/Wahrscheinlichkeiten auf die ich jetzt nur bauen kann.
Ein Schlafmittel wird mich jetzt aus meinen Ängsten und der Luftnot zur Ruhe bringen etwas schlafen lassen. Diese Stunden muss ich warten.

Bleibt gesund!
Susie

 

Sonntag 24. Mai – Mein Arzt ist einfach toll.
An Schlaf war nicht zu denken. Luftnot und Angst sind größer.
Wir hatten den Arzt erreicht. Jippieh! – 😀 – 4 Wünsche wurden war!

Der Arzt kam um ca. 12:30 Uhr, mit einer Schwester, in Vollschutz! Inzwischen machen mir seine Schutzmaßnahmen nichts mehr aus. Ich dachte auch darüber nach, dass es mir jetzt inzwischen egal ist, was Nachbarn denken und fühlen. Tage zuvor wollte ich sie nicht beunruhigen.
Wie schnell gewöhnt man sich an doch an alles. Sachen die mich letzte Woche noch etwas beängstigt haben sind jetzt normal. Inzwischen egal.

O. k., wieder das Stäbchen bis zum Gehirn, auch bei meinem Sohn.
Er nahm mir dieses Mal auch Blut ab, mit der Bemerkung, vielleicht finden wir Resistenzen, ansonsten … (Der Satz endete).
Er holte vom Auto noch ein Hardcore-Antibiotikum, das ziemlich stark ist und anscheinend alles tötet was an Bakterien in Deinem Körper ist. Ich weiß, es sind Viren, keine Bakterien.
Verordnung: viermal täglich 1000er Paracetamol (die übliche Dosis ist 500) und zweimal täglich diesen Hammer.
Zur Abwechslung mal wieder Quarantäne, die 2., wobei ich jetzt zu den INFIZIERTEN gehöre, und nicht mehr zur Kontaktperson.

Bleibt gesund!
Susie

 

Montag 25. Mai
Spätnachmittag, am Montag hatte ich dann das 1. Mal das Bedürfnis abgesaugt zu werden. Ich sauge immer noch relativ wenig ab, es kommt etwas, was echt nicht „krankhaft“ aussieht. Im Vergleich zu den sehr häufigen Inhalationen ist es aber viel, viel zu wenig. Die Temperatur ist gefallen, meiner Atmung geht es noch nicht besser. Puls inzwischen unter 100
Diese trockene Lunge beunruhigt mich.

Bleibt gesund!
Susie

 

Dienstag 26. Mai – “ Ergebnis“
Meine Atmung ist nicht besser. Ich hänge am Sauerstoff, von dem ich nicht wegkomme. Auf der Seite liegen ist unmöglich, da es sich dann anfühlt wie „Luftanhalten“. Es muss aber manchmal sein.
Mein Fieber regle ich über Medikamente. Mein Antibiotikum fängt an zu wirken, wobei von einer Besserung nicht wirklich zu sprechen ist.
Am Nachmittag erfuhr ich das Test-Ergebnis: ! NEGATIV !
Es ist ein sogenanntes 1. Ergebnis, das immer noch falsch sein kann. Es beruhigt mich um einiges, aber irgendwie nicht wirklich.
Meine Bronchitis/Lungenentzündung ist so anders als sonst. So trocken und mit Kurzatmigkeit verbunden.

Bleibt gesund!
Susie

 

Sonntag 31. Mai – Arztbesuch
Ich hatte unter der Woche versucht das Ergebnis meiner Blutabnahme zu bekommen, vergeblich. 🙁
Fühle ich mich besser? Etwas, aber nicht viel beruhigter. Die Temperatur geht runter. Das Antibiotikum, obwohl es sehr stark ist, macht mir doch, wider Erwartung, keine großen Probleme, außer dass es meinen sowieso schon niedrigen Blutdruck noch etwas senkt.

Mein Arzt kam unerwartet auf eine „Schnellvisite“ vorbei. Ich war froh, dass er nach mir sieht, andererseits beruhigte es mich nicht.
Er nahm wieder einen (den 3.) Nasenabstrich, mit der Bemerkung: „Seien Sie froh, dass es jetzt die dünnen Stäbchen sind, vorher waren es dicke Stäbchen, und die taten ziemlich weh“, ab. – Das kann ich mir schmerzlichst vorstellen –
Wie froh man doch wirklich über solche Kleinigkeiten sein kann, die sich aufgrund der Test-Entwicklung verbessert haben.
Blutabnahme! Aufgrund meiner Schwerstkörperbehinderung habe ich keine guten Venen, das heißt eine einzige am Fuß. Er ist der einzige Arzt der sie immer trifft. Dieses Mal auch, sodass die Blutabnahme schnell geschehen war.
Natürlich versuchte ich einige Fragen zu stellen, auf die ich nicht wirklich Antwort bekam. Er meinte: „Die Blutwerte waren letztes Mal völlig durcheinander und hoch entzündet, darum müssen wir unbedingt noch einmal nachsehen“.
So unerwartet wie er kam, war er auch schon wieder verschwunden.
Er hinterließ mich wieder mit ziemlich vielen ❓ und Ängsten in meinem Kopf.

Spätnachts fangen die Gedanken wieder an zu kreisen.
Ich versuche daran zu glauben, dass es mir, dadurch das es mir um einiges besser geht, in den nächsten Tagen auch wieder viel besser gehen wird.
Für mich, ganz egoistisch, ist es dann nicht mehr relevant, ob ich negativ oder positiv bin, Hauptsache ich habe das ganze überlebt.

Etwas Positives hat das Ganze: Durch meine 24/7-Beatmung habe ich einen Sauerstoff-Kondensator zu Hause, sodass mir ein Krankenhausaufenthalt erspart blieb.
Andere hätten ins Krankenhaus gemusst.
Durch meine Beatmungssituation bin ich so manche Luftnot gewöhnt, sodass ich nicht, wie andere, gleich in Panik verfalle. Ich habe gelernt damit umzugehen und Ruhe zu bewahren.

Ich werde in den nächsten Tagen versuchen wieder vom Sauerstoff herunter zu kommen, Stunde für Stunde, Schritt für Schritt. Ich versuche meine körperliche Stabilität wiederherzustellen und mich aus dieser fast gewohnten Isolation wieder heraus zu schaufeln.

Bleibt gesund!
Susie

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