Corona-Tagebuch 10.7.2020: Susie (Teil 7)

10. Juli 2020 / Autor: Karin Winklhofer

Normalerweise gibt es hier freitags immer unseren Wochenrückblick. Im Moment finden aber ja kaum Arbeitskreise und andere Sitzungen statt und es gibt nicht so viel Spannendes zu berichten. Daher gibt es, für die „Corona-Zeit“, stattdessen jetzt die Rubrik „Corona-Tagebuch“. Hier möchten wir Einblick in unseren neuen Alltag gewähren und natürlich auch Tipps und Neuigkeiten mit unseren Leser*innen teilen. Am Ende dieser Blogbeiträge informieren wir natürlich auch ganz knapp, was sich im Netzwerkbüro sonst so berichtenswertes getan hat.

 

Heute ist es wieder unsere Sprecherin Susie Kempa, die ihren von Corona beeinflussten Alltag schildert.
Hier findet Ihr Teil 1, Teil 2 , Teil 3 , Teil 4, Teil 5 und Teil 6 ihres Corona-Tagebuchs.

 

Susies Corona-Tagebuch (Teil 7)

 

Donnerstag 3. Juni

Am Dienstag hatte ich gleich meinen Arzt angerufen, in der Hoffnung auf ein Ergebnis, aber ich wurde vertröstet, aufgrund von Feiertagen und so weiter.

Warum dauert alles lange.

Angeblich sind wir weniger „Infizierte“, das heißt, dass es mehr Ressourcen geben muss und die Tests eigentlich schneller und leichter durchzuführen sein müssten.

Dieses Warten.

Mir ging es die Tage nicht gut, aber wie soll es einem schon anders gehen, wenn man so krank ist. Ich bin immer noch nicht auf den Beinen (in dem Rollstuhl  🙂 ).

Mein Antibiotikum ist zu Ende, meine Luftnot und mein Fieber nicht.

Ich bin schon tagelang krank, und es hat mir inzwischen die letzte Energie genommen. Ich bin irgendwie an einem Punkt angelangt an dem einem alles „langweilig“ ist.

Heute hatte ich es noch mal versucht und auch ein Ergebnis bekommen „NEGATIV“.

 

= > Das heißt:

Ich könnte, wenn ich nicht krank wäre, wieder unter Abstand und Schutzmaßnahmen Besuch empfangen. Ein „Besuch von jemandem“ ist seit März immer noch nicht einfach. –> Ich hatte erst eine Person zu Besuch.

Ich hätte schon gerne wieder Besucher, oder würde mich mit jemandem treffen, aber meine Freunde wollen es nicht riskieren, auch mit Abstand et cetera nicht. Ich verstehe Sie!

Ich bin kein Mensch, der gerne „spazieren geht“, lieber um die Ecke am Brunnen im Hinterhof sitzen. Ich würde gerne unter Menschen gehen um etwas zu sehen. Aber gerade eben ist es mir auch wieder egal.

 

Dieses NEGATIV-Ergebnis hat mir die Angst, wie komisch es auch klingen mag, genommen an Covid-19 bald, demnächst sterben zu müssen.

 

Bleibt gesund!

Susie

 

 

Freitag 5. Juni

Ich bin immer noch nicht gesund, ich würde sagen, ich hänge herum, mehr als sonst. Heute habe ich wieder angefangen mich auf meine Ehrenämter vorzubereiten, vor allem als Behindertenbeirätin. In den letzten Monaten hatte ich das stark vernachlässigt. Im Internet zu stöbern, E-Mail-Anhänge zu lesen, um auf den aktuellen Stand zu kommen.

Denn tatsächlich hatten sich auch heute zwei Frauen gemeldet, mit der Bitte um Beratung. Ich nahm mir Zeit und es entwickelte sich das eine oder andere private Gespräch. Es war schön zu hören, dass es einem nicht alleine „langweilig“ wird. Zudem brauche ich und alle anderen wieder Aufgaben. 🙂

Ich gab den Frauen, mit einem kleinen Lächeln, eine „Hausaufgabe“ auf, die sie möglichst in zwei Tagen erledigen sollten, damit wir weiter miteinander vorankommen.

 

Bleibt gesund!

Susie

 

 

Montag 8. Juni

Die Tage laufen so vor sich hin, ohne dass wirklich etwas passiert.

Leider bin ich immer noch krank. Vom Sauerstoff wegzukommen klappt nicht so wie ich möchte. Ich merke wie meine eigentlich immer gute Laune und mein Lächeln verschwinden.

 

Ich hatte heute ein, für mich, merkwürdiges Telefonat. Meine Hebe-Geräte waren zur Wartung fällig, so dass ich für einen Wartungstermin angerufen wurde. Ich erzählte ganz unbedacht, dass ich noch etwas krank bin, aber wir gerne einen Termin vereinbaren können. Am anderen Ende der Leitung war es ruhig. Ich spürte, was ich mit diesem Satz ausgelöst hatte. Das Gespräch war dann plötzlich zügig beendet, in dem mir gesagt wurde, dass sie sich dann wieder melden.

Im Nachhinein würde mir bewusst, wie viel Ängste doch viele Menschen noch haben.

Noch dazu muss er nur ein Gerät kontrollieren, das heißt ich muss überhaupt keinen Kontakt zu ihm haben; nicht mal 3 m nah. 😕

 

Bleibt gesund!

Susie

 

 

Mittwoch 10. Juni

Meine Gesundheit ist gleichbleibend nicht so besonders, aber daran habe ich mich inzwischen etwas gewöhnt.

 

Diese Isolation macht vielen behinderten Frauen viel, viel mehr zu schaffen, als ich dachte. Selbst mir geht die lange Zeit seit März inzwischen stark an die Substanz. Ich bin, natürlich per Vorurteil, davon ausgegangen, dass behinderte Menschen gewöhnt sind viel Zeit in der Wohnung zu verbringen und damit gewohnt sind isoliert zu sein. Ich habe mich getäuscht.

Viele schildern, dass sie inzwischen ein „Wurschtigkeitsgefühl“ entwickelt haben. Ein Gefühl der Leere und Lustlosigkeit, das in einem inzwischen so weit aufgestiegen ist, dass man alles vernachlässigt, inklusive sich selbst. Der Alltag ist so lautlos geworden. Die Umgebungen sind lautloser geworden, keine Nachbarn, keine Kinder die spielen. Es passiert nichts.

Ich denke an unsere Tätigkeitsvorstellungen im März. Anfänglich waren wir alle noch so euphorisch. Wir hatten alle unsere Listen und Vorstellungen, was wir an schönen Dingen machen könnten, zu denen wir die ganze Zeit davor nicht kamen.

Was ist daraus geworden? Wie geht es Euch?

Diese Listen und Vorstellungen sind alle dem Trägheitsgesetz verfallen. Wie ich jetzt mitbekommen habe, haben viele, auch nicht behinderte euphorisch diese Zeit gestartet, von der jetzt nichts mehr übrig geblieben ist. Nichts wurde gemacht was man sich so vorstellte.

 

Man bleibt länger wach; andere Frauen, die konsequent um 23:00 Uhr schlafen gegangen sind, gehen jetzt morgens ins Bett. Statt 9:00 Uhr morgens, an denen oft Therapien oder Arbeitsplätze oder sonst etwas auf einen warteten, steht man um 12:00 Uhr auf. Das Mittagessen wird zum Frühstück. Man sieht unsinnige Filme, dreht im Internet seine Runden, auch zum 10. Mal, und lässt alles was trotzdem ansteht liegen.

Es sind oft die Kleinigkeiten die uns eine Struktur geben. Wir alle brauchen diese gewohnten Abläufe, die momentan nicht mehr funktionieren. 😮

Durch meine Schwerst-Körperbehinderung, die Beatmung und vor allem die Tatsache, dass mein Körper die Körpertemperatur nicht gut halten kann, bin ich sowieso ca. 9 Monate im Jahr, wenn nicht mehr, in meiner Wohnung. Eigentlich benötige ich, um mich längere Zeit draußen aufzuhalten, eine Außentemperatur von 25°C, ohne Wind. Ansonsten husche ich schnell von der Tür ins Taxi, vom Taxi in das nächste Gebäude und zurück. Ich bin es damit gewohnt isoliert zu sein. Für mich ist es nicht viel anders. Für mich ist es aus diesem Grunde um ein Vielfaches leichter.

Anders ist für mich, dass ich keinen Besuch, keine Mädelsabende, keine Therapien haben durfte. Schwer zu schaffen macht mir, dass ich seit März meinen Sohn, der bei mir wohnt, kaum sehen konnte. Gemeinsam einsam! Mein größerer Sohn durfte natürlich auch nicht zu Besuch kommen, was vielleicht nicht so schlimm wäre, wenn er nicht ein totaler Telefon-Stoffel wäre und damit die Anzahl der Telefonate kurz und sehr begrenzt ist. Vorher hatte ich ihn jeden 2. Tag gesehen. Hinzu kommen natürlich die Ängste, die die Presse schürt, die Tatsache, dass ich wirklich krank wurde, die ganzen Schutz-Vorschriften in meiner eigenen Wohnung (zwischen dem Pflegedienst und mir) etc. etc… 🙁

Ich muss dazu sagen, ich bin kein Mensch der spazieren geht.

 

Bleibt gesund!

Susie

 

 

Freitag 12. Juni  – Beschwerden meines Katers –

Corona veränderte den Tagesablauf, die Struktur meines Katers. Mein Kater schläft normalerweise gerne tagsüber an meinem Bettende, bei meinem Sohn oder im Garten, natürlich je nach Wetterlage. Nachts ist es ruhig, da ist er oft ewig unterwegs. Seit Mitte März war er eher tagsüber unterwegs und hat es abends und nachts genossen bei mir/uns zu sein. Man könnte sagen, mein Kater hat es genossen, dass der Shutdown die Menschen von der Straße und den Wegen weg geholt hat. Autos, die es bei mir sowieso ganz, ganz wenig gab, sind noch weniger geworden. Ideal für ihn, um ungestört draußen spazieren zu gehen, sich mit anderen Katzen/Katern zu schlagen. Seit Tagen kommt er jetzt immer wieder nach Hause und schimpft lauthals mit mir. Nach einigen Tagen verstand ich was er sagen wollte. Es wirft mir vor, dass wieder vermehrt Leute draußen sind und ihn in seiner Ruhe belästigen; er kann nicht mehr in Ruhe tagsüber draußen sein und uns nachts genießen. Das war viel besser. Aus seiner Sicht gesehen fand ich das natürlich auch. Er fühlt sich belästigt.

 

Das Leben scheint wieder zu beginnen – unser Leben scheint wieder zu beginnen 🙂

 

Bleibt gesund!

Susie

 

 

Montag 15. Juni  – Weitere Lockerungen der Schutzmaßnahmen –

Endlich, endlich gehen meine ganzen Therapien wieder an. Die meisten hatte ich nicht seit Anfang März.

Meine Therapeuten waren fast alle nervös, denn sie wissen zwar von der Presse etc. wie man sich am besten verhält, um jemand anderen und sich selbst nicht zu gefährden, aber das ist leichter gewusst als korrekt ausgeführt.

Wenn jemand zu mir kommt muss er alle „Vorgehensweisen“ zum Schutz vorschriftsmäßig anwenden.

 

Meinem Rollstuhlmechaniker habe ich gleich mal eine Liste geschrieben.

Mein Ansprechpartner für Hilfsmittel et cetera im Zusammenhang mit dem Atemgerät kommt auch morgen vorbei und baut mir meinen neuen Tisch zusammen, der schon einige Zeit wartet. 😎

 

Bleibt gesund!

Susie

 

 

Donnerstag 18. Juni  – Auditgruppe Schule per Videocall –

  1. Treffen seit dem Shutdown der Auditgruppe Schule.

Die Internetverbindung war dieses Mal fast komplett stabil, zudem waren Gebärdendolmetscher mit dabei. Trotzdem, wenn das Internet etwas hängt, dann „stottert“ auch ein Gebärdendolmetscher. Es war sehr informativ. Es macht mir unheimlich Spaß in dieser Gruppe mitwirken zu dürfen, da wir sehr produktiv miteinander arbeiten.

Außerdem diskutierten wir einige Zeit auch über das Wort/die Definition „Förderung“, das immer wieder im Zusammenhang mit Inklusions-Schulen fällt.

Ist jedes Kind/Jugendlicher/ Erwachsener, der eine Unterstützung braucht, gleich ein Mensch mit Förderbedarf? ❓

 

Bleibt gesund!

Susie

 

 

Freitag 26. Juni  – Gesundheit (Daumen hoch) –

Erst einmal habe ich eine gesundheitlich gute Nachricht. Ich bin so begeistert von meinem Körper, das könnt ihr Euch nicht vorstellen. Nun war ich doch ziemlich, ziemlich lange krank und mein Körper ist dadurch sehr geschwächt. Endlich, seit zwei Tagen bin ich wieder bei meiner Körpertemperatur angelangt. Die Versuche vom Sauerstoff wegzukommen waren bis vor ca. sechs Tagen immer noch nur kurzzeitig möglich. Jetzt hat er es geschafft, tagsüber wieder unabhängig zu sein. Beim Schlafen brauche ich zu 80 % doch noch etwas Sauerstoff, aber das gibt sich. Schließlich bin ich eine Kämpferin. 🙂

 

Meine Euphorie und meine Kraft waren wieder da, um auch endlich wieder mal meine Haare zu färben. Es war zudem auch Besuch angesagt. Irgendwie hat man sich doch selbst etwas vernachlässigt, wie ich auch von anderen behinderten Frauen erfahren habe. Jetzt ist die Zeit wieder da, in der wir uns „zeigen“ müssen und damit Zeit unsere Haare und Fingernägel in Ordnung zu bringen. 😀

 

Bleibt gesund!

Susie

 

 

Samstag 27. Juni  – 2. Besuch  +  Aktivierung Facebook-Account –

Ich war irgendwie so nervös. Mein Lieblingsmensch, meine Freundin, die am anderen Ende von Deutschland lebt, kommt 1-2 mal im Jahr zu Besuch. So auch heute.

Wir wollten zusammen kochen und dann raus und reden was das das Zeug hält.

Mein 2. Besuch seit dem Shutdown und

seit Februar mein 1. Ausgang.

Man wird echt nervös wenn man es nicht mehr gewohnt ist. Meine Nase in die Freiheit stecken zu dürfen. Meine gewohnte Umgebung wird zum Highlight meines Jahresereignisses. 😀

 

Aber leider, mein Elektro-Rollstuhl hat keinen Mucks mehr von sich gegeben. Bewegungslos, damit auch ich. Ich war erst unendlich traurig, aber dann hat es die Normalität meiner Freundin geschafft dies zu vergessen. 🙂

Mein 2. Besuch war schön und tat so so gut. Wir waren schutzlos, klingt schon fast unanständig, und es gab sogar ein ganz unbeschwertes 1. Begrüßungs-Knuddeln nach so viel Abstand seit März. 🙂

Zum Abschied hat es mich dann kurz zu Tränen gerührt.

 

Mein Facebook-Account ist seit ca. einem Jahr gesperrt. Ich hatte immer wieder versucht diesen zu aktivieren, aber wenn man Passwörter vergisst. 😐

Da ich über Facebook zu Beratungszwecken immer gut und schnell erreichbar war und es für politische Auseinandersetzungen/Teilnahme oder Öffentlichkeitsarbeit mitunter auch sehr geeignet war, habe ich einen neuen Account eröffnet. Natürlich auch, um mich selber wieder zu disziplinieren und um aus dieser Gleichgültigkeitsphase heraus zu kommen.

Also, über diesen Namen bin ich wieder über Facebook zu erreichen:

Susie Netzwerkfrauen-bayern

 

 

Bleibt gesund!

Susie

 

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